Claudia Heitkamp

Science-Fiction

Zeiten wie diese

Liebesgeschichte

Das Buchstabensuppen-Orakel (Chick Lit)

Tragikkomisches

Ratenklau

Humorvolle Gedichte

Oh Liebster, heute wünsch ich mir

Sieben schöne Männer

Melancholische Gedichte

Du

Lass mich frei 

Der Swinger Club

Science-Fiction

Zeiten wie diese

Wie viele Katastrophen in der Geschichte der Menschheit hatte auch diese mit einer guten Idee begonnen - denn als die Gründer des Health-Pro Konzerns verkündeten, dass sie den Hunger in der Welt zu besiegen gedachten, hatte wohl niemand damit gerechnet, dass sie sich einst zu Diktatoren über die Pflanzenwelt erheben würden.

Schließlich hatten sie sich zunächst als Non-Profit Unternehmen in den Entwicklungsländern angesiedelt. Unter dem Motto: “Grüne Gentechnik gegen den Hunger“, hatten sie es zum Ziel erklärt, die Einheimischen durch den Anbau von Health-Pro Getreide vor Ort mit Arbeit und Nahrung zu versorgen. Doch wenn gute Ideen zum Selbstläufer werden, schlagen sie oft einen anderen Weg ein als denjenigen, den ihre Erdenker für sie vorgesehen haben. So kam es, dass Health-Pro ein weltweites Anbaumonopol forderte, um die genetische Reinheit seiner Getreidearten zu schützen. Angeblich sollte auf diese Weise verhindert werden, dass sich Health-Pro-Pflanzengene mit den Genen herkömmlicher Pflanzen vermischten. Denn wenn dies geschähe, würden die Health-Pro Pflanzen ihre spezielle Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und Wetterextreme verlieren, und der Konzern könne nicht länger gewährleisten, genug Erträge zu produzieren, um eine wachsende Weltbevölkerung auf Dauer zu ernähren. Was dann nach einer internationalen Debatte folgte, war ein Gesetz des Welternährungsrates, das fortan den Anbau von Pflanzen verbot, die nicht den Normen der Genreform des Health-Pro Konzern entsprachen.

Wissenschaftler gaben zu bedenken, dass durch dieses Gesetz ganze Ökosysteme kollabieren würden, doch der Protest der Umweltaktivisten war nicht das Ende des Anbaumonopols, sondern nur die Geburtsstätte einer weiteren guten Idee. Noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes wurden Phytobanken eingerichtet, die das Erbgut aller irdischen Pflanzenarten für die Zukunft verfügbar halten sollten.

„Das ist die Methode, mit der die Mächtigen die Welt im Griff haben“, hatte Martin gesagt. „Erst Existenzängste schüren, um radikales Vorgehen zu rechtfertigen, und dann den Kritikern mit Zuckerbrot das Maul stopfen. Aber im September werden sie sich wundern, denn wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen!“

Diese Worte meines Ex-Mannes waren es, die mich seit Tagen am Einschlafen hinderten, und weil ich es kaum noch aushielt, mir auszumalen, was passieren würde, wenn unser Plan doch nicht funktionierte, suchte ich jeden Abend andere Gründe für meine Schlaflosigkeit. In dieser Septembernacht waren es die Wildhunde, die zu Beginn des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts aus den Großstädten in ländliche Gebiete vertrieben worden waren. Sie bellten und heulten seit Stunden.Ich drückte mir das Kopfkissen auf die Ohren, wälzte mich eine Weile hin und her und glaubte gerade in den Schlaf hinüberzugleiten, als ich das Gefühl hatte, dass es im Zimmer ganz hell geworden war. Ich öffnete die Augen und sah, wie sich die Türen des Kleiderschrankes schlossen. Für einen Augenblick glimmte ein gelblichesLicht durch die Ritzen der Schranktüren, aber es erlosch, noch bevor mir so recht bewusst werden konnte, was es zu bedeuten hatte. Ich grummelte vor mich hin, drehte mich auf die andere Seite, seufzte, und fragte mich in einem Anflug von Ärger, ob es mir in dieser Nacht überhaupt noch irgendwann möglich sein würde, endlich einmal in Ruhe zu schlafen – da hörte ich plötzlich das Surren eines E-Jets, das sich direkt vor dem Haus zu verlangsamen schien.

Ich fuhr hoch und starrte ins offene Schlafzimmerfenster. „Keine Bewegung!“, herrschte mich ein E-Cop an, der auf seiner Einmann-Flugmaschine vor dem Fenster schwebte. Er richtete mit der unfehlbaren Präzision eines Roboters seine Waffe auf mich, und ein Schauer des Schreckens durchrieselte meinen Körper, wie Eiskristalle, die mich von innen heraus frösteln ließen.

Der E-Cop sah genauso aus, wie Martin ihn beschrieben hatte. Alles an ihm war schwarz. Er trug den für KI-Polizisten üblichen Bat-Suit, der es ihm durch Ultraschallsensorik ermöglichte, wie Fledermäuse in völliger Dunkelheit zu manövrieren. Auch der E-Jet, auf dem er saß, war schwarz - vom Lenker bis zum Triebwerk - fast so, als ob er alles Licht um sich herum verschluckte. Sein Helm erinnerte an einen Insektenkopf, als er ihn hin und her bewegte, und ich konnte mir in diesem Augenblick sehr gut vorstellen, welches Grauen sich in einem auftun musste, wenn man von etwas verfolgt wurde, das mit der Dunkelheit verschmolz, wie dieser Roboter es tat. Man dreht sich um und weiß nicht, wo er ist, dachte ich - da drehte er plötzlich den Kopf in meine Richtung, als hätte er meinen Gedanken gehört.

„Identifizieren Sie sich!“, befahl er.

Ich riss die Augen auf und hielt sie so lange und so weit wie möglich offen, damit der E-Cop die Struktur meiner Iris mit den Informationen aus der Biometriedatenbank vergleichen konnte. Das Gesicht des Androiden war im Dunkeln kaum zu erkennen, als das Visier des Helmes sich öffnete, aber ich sah, wie sich seine mit rotem Laser umrandeten Kamerapupillen weiteten, als er an mich heranzoomte. Innerhalb dieser roten Kreise leuchteten Lichtstrahlen auf, die mich blendeten, damit sich meine Pupillen zusammenzogen, bevor er mit dem Oberflächen-Scan der Iris beginnen konnte.

Der E-Cop verhielt sich genau so, wie Martin es beschrieben hatte. Jetzt kam es nur darauf an, dass ich keinen Fehler machte.

„Tu genau das, was der E-Cop von dir verlangt“, hatte Martin gesagt. „Rede nur mit ihm, wenn er dir eine Frage stellt. Versuch nicht, mit ihm zu diskutieren. Du solltest dich auch nicht für irgendwas rechtfertigen, denn dann könnte es passieren, dass er dich festnimmt, weil sich Rechtfertigungen oft schon wie Schuldeingeständnisse anhören. Aber wenn du erst von mehreren E-Cops gleichzeitig verhört wirst, dann hast du keine Chance. Also: Je kooperativer du dich verhältst, desto eher hält er dich für unwichtig."

Ich starrte also in den hellen Lichtstrahl, der mich aus den KI-Polizisten-Pupillen heraus blendete, und wartete.

Die Biometriedatenbank der GlobalAnti Terror Alliance, würde ihm bestätigen, dass ich eine ganz und gar unbescholtene Weltbürgerin war und dass ich in dieser Nacht mit einer Wahrscheinlichkeit von über neunzig Prozent nichts anderes getan hatte, als zu schlafen …

„Schalten Sie das Licht an!“, befahl der KI-Polizist. Anscheinend war er schon fertig mit seinem Scan, doch vor meinen Augen tanzten lila-grüne Blendflecken, die mich irritierten, als ich mich aus dem Bett beugte, um nach dem Schalter der Nachttischlampe zu suchen. Ich tastete ins Leere und verfluchte die Tatsache, dass ich mich in einem uralten Fachwerkhaus mit dem KI-Polizisten herumärgern musste. Aber das alles gehörte zum Plan. Das Haus diente ebenso der Tarnung wie meine antiken Möbel und die Lampen, die in einem moderneren Gebäude längst durch sprachgesteuerte Lichtanlagen ersetzt worden wären.

Schalten Sie das Licht an!“, befahl der E-Cop noch einmal. Ich balancierte auf einem schmalen Steg über den Abgrund der Panik, als ich den Schalter immer noch nicht fand - dabei hatte Martin mir eingebläut, dass ich bloß nicht nervös werden sollte.

„Während er dich befragt, misst er deine Herzfrequenz, um Lügen zu entlarven“, hatte Martin gesagt, als wir den Plan noch einmal durchgegangen waren. „Es ist also am besten, wenn du immer die Wahrheit sagst. Dann hast du keinen Grund, nervös zu werden. Wenn es gar nicht anders geht, könntest du sogar eine Lüge als Wahrheit hinstellen. Du müsstest deine Antworten nur mit deinem Gewissen vereinbaren können - verstehst du, wie ich das meine?“

Ja! Natürlich hatte ich verstanden, wie er es gemeint hatte! Aber es war alles ganz anders, wenn einem der E-Cop Auge in Auge gegenüberstand!

Endlich fühlte ich den Schalter am Kabel der Nachttischlampe und drückte ihn, da hörte ich, dass der KI-Polizist zum Fenster hineinkletterte.

Ich zuckte zurück ins Bett.

„Keine Bewegung!“, fuhr er mich an.

Wieder richtete der Roboter seine Waffe auf mein Gesicht, während er im Zimmer umherlief und sich umschaute. Er zerrte die Gardinen zur Seite und kippte den Ohrensessel nach vorn, um dahinter zu schauen. Dann schritt er zum Fußende des Bettes und beugte sich herunter, um nachzusehen, ob sich dort jemand versteckte - aber seine Waffe hielt er immer so, dass sie weiterhin auf mich zielte. Ich war überzeugt, dass er schießen und mich treffen würde, sobald ich mich bewegte, ganz egal, ob er mich dabei ansah oder nicht. Ich wagte es kaum, ihm mit Blicken zu folgen, als er auf den Kleiderschrank zuging.

Er riss die Schranktüren auf, sodass ich fürchtete, er würde sie aus den Angeln brechen, aber als er sah, dass sich darin tatsächlich nur Klamotten befanden, warf er sie wieder zu und drehte sich zu mir um.

Im Lampenlicht sah er ganz anders aus - fast wie ein ganz normaler Polizist in einem ganz normalen E-Jet-Anzug. Doch der Blick aus seinen allzu ebenmäßigen, stahlgrauen Augen wirkte so ausdruckslos, dass ich keine Sekunde daran zweifeln konnte, dass er ein künstlich intelligenter Roboter war.

Eine Drohne in Menschengestalt.

„Aurora Stern, geboren am einunddreißigsten Ersten zweitausendeinundachtzig - Sie waren mit Martin Magnolis verheiratet“, stellte der E-Cop fest. „Er wird verdächtigt, heute Nacht, am vierten September des Jahres zweitausendeinhundertdreizehn, um elf Uhr sechs in die Zentrale der Europäischen Phytobank eingedrungen zu sein und Pflanzensamen gestohlen zu haben. Laut Beschluss des Welternährungsrates dürfen seit Beginn des Jahrhunderts keine Pflanzensamen in die Umwelt gelangen, die nicht den Normen der Genreform des Health-Pro-Konzerns entsprechen. Der Diebstahl von Pflanzensamen, die die genetische Reinheit von Health-Pro Mais, Health-Pro Soja und Health-Pro Weizen gefährden könnten, gilt demnach als terroristischer Akt gegen die Weltbevölkerung und wird für Täter und Mittäter mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünfzig Jahren geahndet. Wissen Sie, wo sich Martin Magnolis zurzeit aufhält?“

„Nein“, sagte ich, und mit meinem Gewissen vereinbarte ich, dass diese Antwort als Wahrheit gelten durfte - denn ich hatte ja tatsächlich keine Ahnung, wo er sich gerade aufhielt. Ich wusste zwar, dass er es geschafft hatte, mit dem als Kleiderschrank getarnten Fahrstuhl in den Keller zu fahren, aber ob er in dem Versteck unter dem Haus wartete, oder ob er am anderen Ende des Bunkers unsere unterirdischen Pflanzenfarmen durchstreifte, das wusste ich nicht.

„Haben Sie Martin Magnolis in der letzten Viertelstunde gesehen?“, fragte der KI-Polizist.

„Nein“, sagte ich und wieder kleidete sich die Lüge in einen Mantel der Wahrheit, denn gesehen hatte ich ihn ja wirklich nicht. Nur das Licht der Fahrstuhlkabine, das durch die Ritzen der Kleiderschranktüren geschienen hatte, als er nach unten gefahren war.

„Wann haben Sie Martin Magnolis zuletzt gesehen?“, fragte der KI-Polizist.

„Am siebten Januar zweitausendeinhundertdreizehn.“

„Am Tag Ihrer Scheidung“, stellte der E-Cop fest.

Dank der Biometriedatenbank wusste er, an welchem Tag wir geschieden worden waren, und genau so hatten Martin und ich es geplant. Der KI-Polizist starrte mich ein paar Sekunden mit leerem Blick an, als die Arbeitsspeicher im Androidengehirn berechneten, was als Nächstes für ihn zu tun sei, dann knickte er den Arm mit der Waffe in einem Neunziggradwinkel ein, und steckte sie mit maschineller Präzision zurück in das Halfter.

Ich triumphierte innerlich!

„Das Verhalten eines E-Cops ist in gewissem Maße vorhersehbar“, hatte Martin mir erklärt. „Weil er trotz künstlicher Intelligenz immer noch eine Maschine ist. Seine Verständigungsmatrix ist auf Schlüsselwörter und Wahrscheinlichkeiten programmiert – und das ist unsere Chance. Oder würdest du es für wahrscheinlich halten, dass du mir Unterschlupf gewährst, nachdem wir nur wenige Monate zuvor in einem erbitterten Rechtsstreit geschieden worden sind?“

„Nein“, hatte ich ihm geantwortet. „Aber gerade weil wir nur so tun, als ob wir uns trennen, wird es mir schwerfallen, dich so lange nicht zu sehen.“

Der KI-Polizist wandte sich ab und marschierte zurück zum Schlafzimmerfenster. Er legte die Hand an das Fensterbrett, um nach draußen zu klettern, doch plötzlich hielt er inne, und drehte sich noch einmal um.

„Sie sind verpflichtet, die Polizei zu benachrichtigen, falls Martin Magnolis Kontakt zu Ihnen aufnimmt“, sagte er.

Ich schluckte.

„Ja“, sagte ich. „Das werde ich natürlich sofort tun.“

Aber das war eine Lüge.

Der E-Cop starrte mich an.

„Ihr Herzschlag beschleunigt sich“, stellte er fest.

„Ja, verdammt!“, fuhr ich ihn aus lauter Verzweiflung im Angesicht des Scheiterns an. „Ich habe Angst vor Ihnen! Ich fürchte mich, wenn ich als Frau allein im Bettliege, und ein Manndringt durch das Fenster ins Schlafzimmerein und richtet eine Waffe auf mich!Woher soll ich denn wissen, ob er nicht im nächsten Augenblick über mich herfällt?“

Genau davor hatte Martin mich gewarnt. Vor einer Rechtfertigung wie dieser. Aber nun war es zu spät.

Ich erwartete, dass der E-Cop mich festnehmen würde, aber er starrte mich nur wieder ein paar Sekunden mit leerem Blick an, als sein Androidenhirn kalkulierte, wie er auf meinen Ausbruch reagieren sollte - und dann sagte er:

„E-Cops sind auf künstlicher Intelligenz basierende Terrorbekämpfungseinheiten, die auch KI-Polizisten genannt werden. Es handelt sich dabei nicht um Männer, sondern um Androiden. Das sind männlich aussehende, humanoide Roboter, die nicht mit sexuellen Funktionen ausgestattet sind - folglich haben Sie nichts zu befürchten, wenn ein E-Cop in Ihr Schlafzimmer eindringt, um Sie nach dem Verbleib eines Verbrechers zu befragen.“

 Damit klappte er das Visier seines Helmes herunter und drehte sich um. Er kletterte auf das Fensterbrett, schwang sich auf den Sitz des E-Jets und surrte davon, während das Gesagte noch in meinem Kopf nachhallte.

Ein paar Minuten saß ich da und starrte in die Nacht hinaus …

Auch diese Katastrophe - das Ende der Freiheit - hatte mit einer guten Idee begonnen. Vor mehr als hundert Jahren, in der Blütezeit des Kampfes gegen den Terror, hatte jemand die Idee gehabt, dass jeder Mensch auf der Erde das Recht haben sollte, sich zu jeder Zeit und an jedem Ort sicher zu fühlen. Was aber nur durch absolute Kontrolle jedes Einzelnen zu jeder Zeit möglich gewesen war. Angefangen hatte es mit Videokameras in Großstädten, dann kam die Bürgerüberwachung durch Geheimdienste im Internet, und später folgten Biometriedatenbanken, in denen sich die Lebensdaten jedes einzelnen Weltbürgers von den E-Cops der Global Anti Terror Alliance jederzeit abrufen ließen. Auch damals hatten Menschen versucht, sich zu wehren. Aber sie waren gescheitert.

Was ich nun deutlich zu spüren bekam …

„Warte noch bis zum nächsten Morgen, bevor du zu mir herunterkommst“, hatte Martin am Abend vor unserer Scheidung gesagt. „Denn der E-Cop könnte noch mal zurückkommen, um zu prüfen, ob du die Wahrheit gesagt hast und dann wäre es wichtig, dass er dich genauso vorfindet, wie bei seinem ersten Besuch.“

„Klar, mach ich“, hatte ich ihm geantwortet, obwohl ich damals schon geahnt hatte, dass mir diese letzten Stunden des Wartens besonders schwer fallen würden.

Aber Zeiten wie diese erforderten besondere Maßnahmen. Also legte ich mich wieder hin, löschte das Licht, zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch, und betete, dass der E-Cop nicht noch einmal zurückkommen würde …

 (2013)

 

Liebesgeschichte

Das Buchstabensuppen-Orakel (Chick Lit)

Sein Name schwimmt in meiner Buchstabensuppe: M-A-R-T-I-N – „Martin“ - er kreist um ein Markklößchen wie die Gedanken in meinem Kopf um ihn. Ich fische die Vokal- und Konsonanten-Nudeln eine nach der anderen heraus, lasse sie vom Löffel in meinen Mund gleiten und stelle mir vor, es wären seine Küsse, die auf meiner Zunge zergehen.

„Mensch, Naddy, isst du jetzt jede Nudel einzeln?“, fragt mich Hanna, als ich gerade meine Augen schließen will, um das „N“ als letzen Buchstaben seines Namens besonders lange auszukosten.

Ich blicke auf: „Was?“

Hanna sieht mich mit einem „Ich-bin-mir-nicht-ganz-sicher-ob-du-nicht-gerade-völlig-durchdrehst-Blick“ an.

„Du wolltest doch heute mal nicht an ihn denken!“, erinnert sie mich.

Als ob ich im Moment an irgendetwas anderes denken könnte!

Martin, Martin, Martin, geht es die ganze Zeit in meinem Kopf. Martin, wenn ich aufwache, Martin, wenn ich mich aus dem Bett quäle, Martin, wenn ich dusche, Martin, wenn ich Kaffee trinke oder den Geschirrspüler einräume oder zur Arbeit fahre – ja, es passiert sogar, wenn ich mit einem Kunden telefoniere oder mich mit Freundinnen unterhalte, ich höre gar nicht mehr was sie sagen und wenn doch, dann hat es meistens einen Zusammenhang mit ihm, dann entdecke ich irgendeinen Hinweis in ihren Worten, einen Schicksalswink, der uns miteinander zu verbinden scheint. Mal ist es eine Zahl, die wie durch Zufall auch in seinem Geburtsdatum vorkommt, oder ein Straßenname, der mich an die Marke seines Autos erinnert – wie zum Beispiel „Beerenweg“ gleich „BMW“. Zum Teil sind diese Verknüpfungen so weit hergeholt, als würden sie den Urknall mit dem Endknall verbinden, aber obwohl mir das im Grunde klar ist, schafft mein Hirn es immer wieder, die Notwendigkeit einer Zusammenkunft mit Martin mit universalen Belegen zu untermauern.

„Ach, verdammt!“, sage ich zu Hanna. „Es ist, als ob ich mir gar nicht mehr gehöre, seitdem ich ihn kenne! Er beherrscht meinen Kopf! Ich könnte echt verzweifeln …“

Ich sehe dabei nicht sie an, sondern konzentriere mich wieder auf die Buchstaben in der Suppe, rühre mit dem Löffel darin herum und zerberste fast vor Sehnsucht nach einem weiteren guten Omen ...

„Das merke ich …“, murmelt Hanna. Sie klingt schon ein bisschen genervt, aber der Unterton in ihrer Stimme, schafft es nicht, bis in meinen Verstand vorzudringen.

„Es hat mich dermaßen voll erwischt, wie in meinem ganzen Leben noch nicht“, fahre ich fort. „Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll. Ich kann gar nicht aufhören, an ihn zu denken - und wenn ich ihm auf dem Flur begegne, dann könnte ich jedes Mal sterben!“

„Gut, dann unternehmen wir jetzt was, damit du ihn endlich kriegst“, sagt Hanna. „So bist du nämlich kaum noch auszuhalten!“

Ich fahre hoch: „Was? Jetzt?“

„Ja! Jetzt sofort!“

Hannas Blick duldet keine Widerrede - sie springt auf, greift nach meinem Unterarm und will mich vom Kantinenstuhl hochziehen.

„Aber meine Suppe!“, protestiere ich, und als ich noch einen letzten, verzweifelten Blick auf den Teller werfe, hat sich zwischen den Fettaugen des Rinderbouillons wieder ein Wort zusammengefunden: "P-E-C-H“.

Ja! Pech! Es ist eindeutig: Das Schicksal will mich davor bewahren, einen großen Fehler zu machen!

„Scheiße! Nein!“, entfährt es mir. „Das geht jetzt nicht, Hanna, ich kann doch nicht einfach zu ihm hin und …“

„Doch du kannst!“, sagt Hanna. „Und du musst! Wir gehen jetzt in sein Büro und sagen ihm, was Sache ist, sonst bist du bald reif für die Klapse!“

„Oh, Gott! Hanna! Wir können doch hier nicht einfach alles so stehen lassen …“

„Doch! Wir können!“

Hanna zerrt mich hinter ihr her, als wäre ich eine freche Schülerin, die von ihrer entrüsteten Lehrerin zum Direktor geführt wird. Die Absätze ihrer High Heels knallen über den Kantinenboden wie Pistolenschüsse. Sie reißt die Tür zum Bürokomplex auf und zieht mich durch endlose Flure, ja, beinahe hoffe ich, dass sie nie aufhören, sondern immer weitergehen und den Moment der Wahrheit ins Unendliche herauszögern – da stehen wir plötzlich vor Martins Bürotür, und mein Herz klopft, dass der Puls mir fast die Schädeldecke sprengt.

„Nein, Hanna …“, flüstere ich, als sie die Hand hebt, um zu klopfen. „Bitte nicht - ich sterbe, wenn du das jetzt tust!“

In dem Moment geht die Tür auf und Hannas zum Klopfen erhobene Faust schwebt vor Martins Nase in der Luft, doch anstatt sie wieder sinken zu lassen, erstarrt sie beim Anblick des Mannes, der schräg hinter Martin in der Bürotür steht.

„Äh …“, entfährt es ihr noch, dann verstummt sie.

Dunkle Locken bis in die Stirn und über die Ohren, Dreitagebart, blaue Augen, Anzug, Krawatte – genau Hannas Typ.

Für ein paar Sekunden fliegen Blicke hin und her – zwischen mir und Martin und zwischen Hanna und dem Fremden, dann greift sie plötzlich nach der Klinke, presst ein „’Tschuldigung!“ hervor, knallt die Tür zwischen uns und den Männern zu, zieht mich von dort weg und schubst mich ein paar Türen weiter in mein Büro.

„Oh, Gott!“, japst sie, nachdem sie auch meine Bürotür hinter uns zugeworfen und sich mit dem Rücken dagegen gelehnt hat. „Hast du … hast du DEN gesehen?!“

Sie fährt sich mit den Händen durchs Gesicht.

„Oh, Goooott!“

„Das könnte der Neue sein“, murmele ich. „Du weißt schon, der Buchhalter, der zum Vorstellungsgespräch kommen sollte …“

„Das heißt, ich muss mit ihm ZUSAMMENARBEITEN – oh, GOOOOTT! Nadja! Hast du gesehen, wie er mich angeguckt hat?“

„Ja …“, murmele ich, aber es fällt mir schon wieder schwer, ihr zuzuhören, denn zu sehr bin ich selbst noch gefangen in Martins Anblick, in seinen türkisblauen Augen und den kleinen Lachfältchen in seinem braun gebrannten Gesicht - und plötzlich bin ich ungeheuer froh, dass der Fremde Hannas Plan vereitelt hat. Vielleicht war es ja ihr Pech, das sich in der Buchstabensuppe angekündigt hat, und nicht meins? Martins Blick sah jedenfalls ganz und gar nicht nach Pech aus …

„Scheiße, ich glaube sie kommen!“, ruft Hanna plötzlich und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Sie springt von der Tür weg auf mich zu und klammert sich an meinen Arm.

„Iiieeh, Nadja!“, quiekt sie. „Ich hab sie im Flur gehört! Sie kommen!“

Ich kann förmlich ihren Herzschlag in meinem Hals pochen hören … oder ist es doch mein eigener?

Ich beiße mir auf die Lippe. Hannas Panik steckt mich an! Wir stehen da wie Salzsäulen und starren zur Tür.

Schritte kommen näher … und zwei männliche Stimmen.

Aaaaaaaah!

Hannas Fingernägel krallen sich inzwischen so tief mein Fleisch, das es schmerzt.

„Aua!“, zische ich ihr zu. „Kannst du nicht …“

In dem Moment klopft es.

„Frau Schuster?“, ruft Martin. „Haben Sie einen Augenblick Zeit?“

Frau Schuster - das ist mein Name fällt mir ein, aber meine Stimme kann ich gerade nicht finden, denn ich bin es nicht gewohnt, das Martin mich siezt. Hanna rammt mir ihren Ellenbogen in die Rippen.

„Ja-argh!“, krächze ich. „Bin da!“

Bin da!- Wie bescheuert ist das denn?

Die Tür geht auf und Martin und der Fremde treten ein.

Der Adrenalinstoß, der Hanna in dieser Sekunde durchfährt, greift förmlich auf mich über, als sie ihre Hände von meinem Arm zurückzucken lässt.

„Ich hoffe, ich störe nicht?“, fragt Martin. Er lässt den Blick kurz zwischen mir und Hanna hin und herwechseln.

„Ich möchte Ihnen unseren neuen Buchhalter vorstellen“, fährt er fort, „er fängt nächste Woche bei uns an“, dann sagt er an den Fremden gewandt: „Also, wir duzen uns hier, aber bis es hier offiziell für Sie losgeht, bleiben wir noch beim Sie.“

„Ja, klar, schon in Ordnung“, sagt der Fremde, und ich kann förmlich am eigenen Leib spüren, wie seine Stimme bei Hanna einen Schauer über den Rücken jagt – denn sie starrt ihn an, als wäre er ein Gott.

Als er einen Schritt auf sie zu macht, hebt sie die Hand wie ein schlecht geölter Roboter.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagt er. „Mein Name ist Eduard Pech“, - da entfährt mir ein Prusten – und ich tue so, als ob ich mich ganz fürchterlich verschluckt hätte.

Ich fange an zu japsen.

Hanna und der Fremde starren mich an und Martin stürzt herbei, um mir auf den Rücken zu klopfen.

Er klopft und klopft und klopft.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragt er immer wieder. „Alles okay?“

Als ich mich wieder „beruhige“ liegt seine Hand noch immer zwischen meinen Schulterblättern. Sie ist ganz groß und warm.

„Ja“, murmele ich. „Alles okay!“

Ich sehe ihm in die Augen. Er nimmt seine Hand immer noch nicht weg …

„Schon heftig, wenn man sich so verschluckt“, murmelt er. „Aber zum Glück ist ja alles gut gegangen.“

„Tja“, sage ich. „Das war wohl die Buchstabensuppe. Die ist mir irgendwie nicht bekommen.“

„Ach, die hatte ich heute auch“, sagt Martin und mit einem Mal grinst er so breit, wie ich ihn noch nie habe Grinsen sehen. „Buchstabensuppen können ziemlich witzig sein, wenn man sich nicht gerade daran verschluckt– vor allem die Botschaften, die man darin lesen kann.“

(2014)

 

Tragikkomisches

Ratenklau

 „Fünfunddreißig achtundzwanzig, bitte", sagte sie zu ihm.

Der Kunde, der sie daran hinderte, pünktlich in ihre Mittagspause zu kommen, strich sich mit seinen schmutzigen Händen lange, fettige Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Das ist Diebstahl!“, funkelte er sie aus stahlblauen Augen an.

„Finden Sie?“, fragte Jenny gelangweilt und gähnte. Sie sehnte sich nach einem Kaffee. Normalerweise arbeitete sie nur halbtags, doch ihr Chef, der sonst die Spätschichten im Kiosk übernahm, betrauerte zu Hause den Krebstod seiner Frau, die er am Sonntag erst beerdigt hatte.

 „Ja! Finde ich!“, keifte ihr Gegenüber sie an. „Soll das bisschen Fusel und Rauchware wirklich fünfunddreißig achtundzwanzig kosten?“

„Ich hab die Preise nicht gemacht“, murmelte Jenny und versuchte ihre Stimme so abweisend wie möglich klingen zu lassen, ohne ihn noch weiter zu verärgern. „Mein Chef macht die Preise, und dieser Kiosk ist noch einer der billigsten in der Stadt.“

Sie betrachtete den Mann, der diese fruchtlose Preisdebatte mit ihr begonnen hatte. Seine schmuddelige, verwaschene Jeansjacke hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen.

„Ist lange her, dass ich mit Benno um die Häuser gezogen bin“, fuhr ihr verwahrloster Kunde wie in Gedanken fort. „Er war schon immer ein Wucherer. Hat sich jeden Pfennig gemerkt, den er mir geliehen hat. Pünktlich zum Monatsanfang hat er mir dann aufgezählt, was ich ihm noch alles schulde. Dass er immer so hinter dem Geld her war, das hätte ich ihm ja noch verzeihen können. Aber das mit Elvira, DAS nehme ihm übel!“

Jenny zuckte mit den Schultern. Die Probleme, die dieser Kerl mit Benno hatte, interessierten sie nicht. Sie wollte nur, dass er endlich zahlte und verschwand. Doch zu ihrer Empörung stellte sie fest, dass er seine restmüllreife Geldbörse wieder in seine zerschundene Jacke stecken wollte.

„Wie? Wollen sie das Ganze jetzt doch nicht mitnehmen?“, fragte sie ungläubig. Da zog er plötzlich eine Plastiktüte aus seiner Brusttasche. Die Tüte war völlig zerknittert und sah aus, als hätte sie bereits mit der eigenen Kompostierung begonnen.

„Doch!“, sagte er langsam. „Ich nehme alles mit. Aber zahlen tu ich nicht. Wegen Elvira. Das kannste ihm ausrichten. Mit schönen Grüßen von seinem alten Kumpel. Er wird dann schon wissen, wer ich bin.“

Er packte mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit die ausgesuchten Waren ein, die Jenny beinahe die Sprache verschlug. Aber eben nur beinahe.

„Aber das ist Diebstahl!“, empörte sie sich, doch der Dieb ließ sich nicht beirren.

„Ach nee“, antwortete er nur und hängte die Tüte an sein linkes Handgelenk. Dabei drehte er sie so lange, bis sie den Blutzufuhr in seine Hand abschnürte. Dann ließ er sie zurück rotieren, trat näher an den Tresen und streckte ihr seinen langen, erdigen Finger entgegen, der aussah, als hätte er damit ein Grab geschaufelt.

„Das mit Elvira, das war Diebstahl! Ich wollte sie heiraten! Und dann kommt Benno und meint, er wäre die bessere Partie für sie. Angegeben hat er mit diesem Kiosk, als würde er eine Supermarktkette eröffnen. Und am Ende hat sie ihn geheiratet. Wenn hier einer ein Dieb ist, dann er! Mein Leben hat er mir geklaut!“

Im Gesicht des Mannes spiegelte sich jetzt der angesammelte Frust seines vergeudeten Lebens. Er trat einen Schritt zurück, seufzte, schniefte und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.

Diese Geste hilfloser Erschöpfung verblüffte Jenny derart, dass ihr fast wieder die Worte fehlten. Aber eben nur fast.

„Trotzdem müssen Sie mir das jetzt bezahlen“, stammelte sie. „Ich kann ja verstehen, dass Sie das alles …“

Weiter kam sie nicht. Sie erstarrte, als der Mann sich plötzlich umdrehte und eilig den Kiosk verließ.

Jenny war unfähig, sich zu rühren, geschweige denn, ihm hinterher zu laufen, um ihn zurückzuhalten. Stattdessen beobachtete sie durch die Scheibe, wie er auf dem Kiesweg zwischen den Holunderbüschen am Rand des Stadtparks verschwand.

Es dauerte einige Sekunden, bis sie ihre Fassung wieder gewonnen hatte. „Scheiße“, sagte sie.

Sie fühlte sich überrumpelt und sah ihre Mittagspause dahinschwinden. Schließlich war Bennos Kiosk soeben bestohlen worden. Sie musste also die Polizei rufen.

Oder? Musste sie das wirklich? Wegen fünfunddreißig achtundzwanzig? Sie beschloss, nach der Mittagspause erstmal Benno anzurufen und ihn zu fragen, was er dazu meinte.

„Was? Fünfunddreißig achtundzwanzig?“, fragte Benno, als sie ihn um kurz vor drei an der Strippe hatte.

„Ja, genau. Fünfunddreißig achtundzwanzig hätte er bezahlen müssen. Aber dann hat er mich vollgetextet. Er hat gesagt, du wärst ein Dieb und schon immer ein Wucherer gewesen und hättest ihm Elvira ausgespannt. Und deshalb wollte er nicht bezahlen. Soll ich jetzt die Polizei rufen, oder nicht?“, fragte Jenny.

Sie erwartete eine prompte Antwort von ihrem Chef. Doch der schwieg. Gerade, als sie anfing zu denken, die Leitung wäre tot, hörte sie Benno am anderen Ende seufzen.

„Und? Soll ich jetzt die Polizei rufen?“, fragte sie ungeduldig. Sie wurde langsam nervös. Vor dem Kiosk hatte sich eine Gruppe von frühen Nachmittagskunden eingefunden, die neugierig durch die Fensterscheiben spähten.

„Benno, jetzt sag doch was. Die Leute wollen rein!“

„Ach, scheiß doch drauf“, antwortete Benno endlich. „Was soll’s. Frank ist deprimiert, weil Elvira tot ist. Genau wie ich. Da dreht er eben durch. Weil er jetzt merkt, dass er sie endgültig verloren hat. Vergiss die Polizei, Jenny. Die kann Elvira auch nicht wiederbringen. Und fünfunddreißig achtundzwanzig sind es mir im Moment nicht wert, die ganze Anzeigenbürokratie zu ertragen.“

 „Okay“, erwiderte Jenny gedehnt und kratze sich am Ansatz ihrer kurzen blonden Haare. „Wenn du meinst.“

„Ja, meine ich“, sagte Benno und legte auf.

Als Jenny um kurz vor acht völlig übermüdet den Kiosk schließen wollte, kam er zurück, der Dieb. Er setzte seinen Fuß zwischen die Tür und den Türrahmen.

„Ich brauche noch ein paar Kleinigkeiten“, sagte er und drängte sie zurück in den Laden. Dafür, dass er so dünn war und so zerbrechlich wirkte, war er erstaunlich stark. Er nahm sich ein Sixpack Bier, eine Tüte Chips, zwei Zeitschriften und eine Schachtel Zigaretten. Wieder steckte er alles gleich in die Plastiktüte.

„Zusammen mit dem Rest von heute Mittag macht das dann siebenundfünfzig achtzig“, sagte Jenny in einem Anflug von Galgenhumor und schlenderte dabei scheinbar gleichgültig in Richtung Telefon.

„Nö!“, sagte Frank. "Ich zahl das nicht!"

„Gut“, erwiderte Jenny und nahm den Hörer aus der Station. „Dann rufe ich jetzt die Polizei.“

Sie drückte die Eins. Weiter kam sie nicht. Plötzlich stand Frank hinter ihr, schlug ihr das Telefon aus der Hand, packte sie im Würgegriff und hielt ihr ein Jagdmesser an den Hals.

„Das würde ich nicht tun, wenn ich du wäre!“, zischte er. „Ich werde so lange nicht bezahlen, bis mir Elvira vergolten ist.“

Sein Atem stank nach kaltem Rauch und Bier. Jenny krallte ihre Finger in seinen Arm, doch der lag um ihren Hals wie ein stählerner Schraubstock.

„Ich hab’s kapiert“, krächzte sie und schnappte nach Luft. „Das ist was zwischen dir und Benno. Ich mische mich da nicht mehr ein. Jetzt lass mich los, verdammt noch mal, okay?“

„Besser so“, sagte Frank, ließ von ihr ab und schubste sie in Richtung Tresen. Jenny prallte dagegen und stöhnte. Sie blieb gekrümmt neben der Kasse stehen, rieb sich die schmerzende Hüfte und beobachtete, wie Frank die Hand an die Türklinke legte.

„Halt“, rief sie aus einem inneren Impuls heraus. „Eins will ich noch wissen. Wie oft willst du noch wiederkommen? Wie lange soll das noch so weitergehen?“

Ihr Dieb drehte sich langsam um und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Was glaubst du?“, fragte er. „Was ist ein Menschenleben wert?“

(2010)

 

Humorvolle Gedichte

Oh Liebster, heute wünsch ich mir

Oh Liebster, heute wünsch ich mir
ein richtig kühles Bier von dir,
danach’ne Flasche roten Wein,
das wäre wirklich äußerst fein!

Dann später, wenn der Blick verschwimmt,
und der Alkohol das Hirn schon trimmt,
dann will ich noch ein bisschen mehr,
denn mit dir trinken mag ich sehr.

Ein Pfläumchen, ja, ich mein Likör,
trink ich wobei ich dich betör,
dann noch ein Schnäpschen hinterdrein,
und du wirst sehn, dann bin ich dein.

Dann Liebster, trag mich schnell zu Bett,
ein Schläfchen wär dann sicher nett,
in weiche Kissen sinken wir dann,
Arme, Beine, Frau und Mann.

(2014)

 

Sieben schöne Männer

Sieben schöne Männer,
ein jeder echt ein Renner,
so beharrlich sich bemühen um mich
Oh ja, sie präsentieren sich.

Der Erste hat ein gutes Herz,
der Zweite macht so manchen Scherz,
der Dritte sieht verdammt gut aus,
der Vierte holt sein Geld heraus,
der Fünfte hat ’ne Menge Mut,
den Sechsten kenn ich nicht so gut,
der Siebte, ja, was ist mit ihm,
ich weiß es nicht, so sei’s verziehn,
wenn ich noch mal von vorne schaue,
damit ich nicht die Wahl verhaue.

Der Erste hat ein breites Kinn,
der Zweite viel Familiensinn,
der Dritte macht gern Ausdauersport,
der Vierte wohnt an ’nem guten Ort,
der Fünfte ist so groß und stark,
der Sechste kommt nicht aus dem Quark,
der Siebte ist der Schönste wohl,
aber dafür in der Birne hohl.

So nun für wen entscheid’ ich mich?
Ich nehme Nr. 8 – ja, dich!

Denn du hast alles, was sie haben!

(2014)

 

Melancholische Gedichte

Du

Ich höre deine Worte im Rauschen der Bäume,
sehe dein Gesicht,
in jedem Winkel meiner Träume,
doch dann bist du es nicht.

Ich spüre deine Anwesenheit in meinem Rücken,
fühle das du da irgendwo bist,
doch die Sehnsucht wird mich noch erdrücken,
denn nie habe ich jemanden so vermisst.

Schmerz und Wahrheit vereinen sich,
in unserer komischen Geschichte,
zu einer Last, einem Gewicht,
sobald ich meinen Blick auf dich richte.

Es drückt mich nieder wie ein Stein,
der auf meinem Herzen liegt,
ich kann nicht mir dir und nicht ohne dich sein,
solange das Hoffen auf Glück überwiegt.

Doch ich ahne, das alles wird vorübergehen …
Das mit uns, das jetzt, das mit dir,
und auch wenn wir getrennte Wege gehen,
bleibt etwas für immer in mir.

Dein Witz, dein Charme, alle großen und kleinen Geschenke,
und deine Freundschaft als Lächeln auf meinem Gesicht:
es erscheint, sobald ich an dich denke,
in jedem neuen Tageslicht.

(2014)

 

Lass mich frei 

Lass mich frei, schöner Mann,
weil ich mit dir nicht mehr atmen kann,
nicht mehr richtig glücklich sein,
denn mit dir bin ich doch allein.

Schöner Mann, tu mir weh,
hilf mir, dass ich endlich geh,
gib mir zurück mein verlorenes Herz,
auch wenn dann folgt der Seelenschmerz.

Los, mach mich wütend, Schöner, ja,
dann seh’ ich endlich wieder klar,
kann leben, wach sein, sehen, spüren,
lass mich nicht mehr von Illusionen verführen.

Ja, Schöner, hilf mir, bitte, jetzt,
auch wenn es mich einmal verletzt,
die Freiheit ist’s mir wirklich wert,
dann leb ich endlich unbeschwert:

Von Sehnsucht, die sich nie erfüllt,
von Fantasie, die dich verhüllt,
von Träumen, die nicht wirklich sind,
von Glück, dass schwindet, wie Staub im Wind.

(2014)

 

Der Swinger Club

Der Swinger
Club hat Scharen
Paare angelockt
die einst sich
in der Partnerwahl verzockt
bereit sind nun
sich mit anderen zu paaren.

Sie stehen herum
und sehen sich um
und fühlen sich dumm
und bis einer mal den Anfang macht
so mancher nur verschüchtert lacht
vor Scham.

Doch dann die Stunde der Nacht
eine Orgie entfacht
und die Hitze, die fortan um sich greift
legt’s Klima lahm
weil alles an Körpern schwitzt und schweift
sich zuspitzt und reift
zum hohen Punkt heran
dann explodiert
multiple Lust
und Liebe wird von in Fenstern sich spiegelnden Paaren
von Sexsucht parodiert
bis all die Seelen erschöpft voll müdem Frust nach Hause fahren.

(2014)